Posts Tagged ‘Resignation’
16. August 2025
Die Auflösung der Gesellschaft ist der Verkehr oder Verein. Der Verein ist „die eigen gewollte Einheit“ (Der Einzige, S. 254). Den Verein kann man genausowenig auf den Begriff bringen wie den Einzigen: beides sind keine fixen „Gedanken“, sondern stehen jenseits davon, d.h. sind „bestimmungsloses“ Leben (Parerga, S. 202). „Der Verein ist nur dein Werkzeug oder das Schwert, wodurch Du deine natürliche Kraft verschärfst und vergrößerst; der Verein ist für Dich und durch Dich da, die Gesellschaft nimmt umgekehrt Dich für sich in Anspruch und ist auch ohne Dich; kurz die Gesellschaft ist heilig, der Verein dein eigen: die Gesellschaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchst Du“ (Der Einzige, S. 351). Stirners Ziel ist „die Anarchie, die Gesetzlosigkeit, die Eigenheit“ (Der Einzige, S. 115), weshalb er gegen die Liberalen war mit ihrer Tyrannei der Vernunft, denn die vertragen „keine Ungezogenheit und darum keine Selbstentwicklung und Selbstbestimmung“ (Der Einzige, S. 116).
Wird durch eine Gesellschaft nur meine Freiheit beschränkt, dann ist sie tatsächlich ein „Verein“, wird aber meine Eigenheit beschränkt, so ist die Gesellschaft „eine Macht für sich, eine Macht über Mir, ein von Mir Unerreichbares, das Ich zwar anstaunen, anbeten, verehren, respektieren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar deshalb nicht kann, weil Ich resigniere. Sie besteht durch meine Resignation, meine Selbstverleugnung, meine Mutlosigkeit, genannt – Demut. Meine Demut macht ihr Mut, meine Unterwürfigkeit gibt ihr die Herrschaft“ (Der Einzige, S. 343f).
Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entsteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat sich ein Verein zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches Sich-Vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, zum Stillstand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er ist – tot als Verein, ist der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung, d.h. er ist – Gesellschaft, Gemeinschaft. Ein sprechendes Exempel dieser Art liefert die Partei. (Der Einzige, S. 342)
Man darf den Verein nicht einfach nur als ein einseitiges Instrument betrachten, mit dem der Einzelne seine Mittel multipliziert (Der Einzige, S. 287) und sich dergestalt in eine gottgleiche Position bringt, vielmehr beruht der Verein in einer Welt, in der nichts mehr heilig ist, notwendigerweise auf Gegenseitigkeit, d.h. dem Verkehr zwischen Einzigem und Einzigem zu beiderseitigem Genuß; ein Verkehr gegen den sich die ach so soziale Gesellschaft wehrt, da er ihre Heiligkeit untergräbt (Der Einzige, S. 240f). „Verkehr ist Gegenseitigkeit“, während Gesellschaft nur eine von außen definierte rein mechanische Anordnung ist, – die durch den Verkehr zwischen Einzelnen nur gestört wird. Der wirkliche, d.h. persönliche Verkehr ist vollkommen unabhängig von der Gesellschaft (Der Einzige, S. 239f). In der Gesellschaft darf der Mensch „nicht unbekümmert mit dem Menschen verkehren, nicht ohne ‚höhere Aufsicht und Vermittlung‘“ (Der Einzige, S. 249). „Statt das Volk frei machen zu wollen, hätte er auf die einzig realisierbare Freiheit, auf die seinige, bedacht sein sollen“ (Der Einzige, S. 252). „Aber die Eigenheit, die will Ich Mir nicht entziehen lassen. Und gerade auf die Eigenheit sieht es jede Gesellschaft ab, gerade sie soll ihrer Macht unterliegen“ (Der Einzige, S. 343).
In was für einem Ausmaß wir in einer luftleeren, gespenstischen Scheinwelt leben, in der wir zu ersticken und zu erfrieren drohen, kann man sich an der „Liebe“ vergegenwärtigen: wir lieben nicht etwa, um in ihr unseren Genuß zu finden, sondern aus edler Uneigennützigkeit. Wenn es unser Gegenüber mit uns ebenso macht – „hätten wir das ideale Paar einer Narrenehe: zwei Menschen, die sich in den Kopf gesetzt haben, ohne sich selbst im anderen zu genießen, aus purer Aufopferung eines das andere zu lieben“ (Parerga, S. 221). Noch schlimmer als diese „Liebe“ zwischen altruistischen Irrenhäuslern, ist die „coole“ machiavellistische Manipulation von „Liebe“, wie sie in der westlichen Magie und im östlichen Tantra gelehrt wird und gerade en vogue ist: sie beruht auf den „yogischen“ Verzicht des Selbstgenusses, d.h. Sexualität soll in Macht transformiert werden.
Nur dem Besessenen und Unechten kann Stirner als „autistisch“ und herzlos erscheinen – in Wirklichkeit ist es derjenige, der aus der lebendigen Liebe eine nekrophile Farce macht: derjenige der von der Gesellschaft, der Familie, der Gemeinschaft schwärmt. (Vgl auch Reich über „sexuelle Dauerbeziehung“ und „ewigwährende Zwangsehe“ in Die sexuelle Revolution: dem Katholiken ist das erstere ein herzloser, autistischer, „ironistisch-nihilistischer“ Graus – dem „Reichianer“ ganz entsprechend das letztere.)
Es ist immer das gleiche: statt sich und das Leben zu genießen, opfert man sich und das Leben irgendwelchen Chimären (Der Einzige, S. 361). Stirner geht es einzig und allein um eben diesen egoistischen Selbstgenuß, – weshalb die Gemeinschaft und die Liebe sein Element sind. Konsterniert frägt er seine Kritiker, die ihm „lieblosen Egoismus“ vorhalten, was an der Isoliertheit eigentlich „egoistisch“ sein solle. Was um alles in der Welt sei daran egoistisch, auf den Genuß der Geselligkeit und der Liebe zu verzichten? (Parerga, S. 180). „Wer einen Menschen liebt, ist um diese Liebe reicher als ein anderer, der keinen liebt; aber ein Gegensatz von Egoismus und Nicht-Egoismus ist darin keineswegs vorhanden, da beide nur ihrem Interesse folgen“ (Parerga, S. 181).
Schlagwörter:Anarchie, Demut, Egoismus, Eigenheit, Gemeinschaft, Gesellschaft, Gesetzlosigkeit, Liberale, Liebe, Max Stirner, Mutlosigkeit, Resignation, Selbstbestimmung, Selbstentwicklung, Selbstverleugnung, Stirner, Verein, Vereinigung, Vernunft, Volk
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23. Oktober 2023
Schlagwörter:Autonomes Nervensystem, Endokrinologie, Fallangst, Krebs, Krebskranke, Nebennieren, Nerven, Nervensystem, Resignation, Schmerzen, Streßhormonen, Tumore, vegetatives Nervensystem
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19. Oktober 2023
Die gesamte moderne Medizin kann man als eine geradezu systematische Umgehung der Frage nach der Charakterstruktur, d.h. der bioenergetischen Struktur des Organismus, betrachten. Entsprechend stellt die moderne Psychologie, Psychiatrie, Psychotherapie eine einzige Vermeidungsstrategie gegenüber der Genitalität dar.
1.
Patienten können die abartigsten, untherapierbarsten somatischen Erkrankungen haben – trotzdem sind diese oberflächlicher als die Charakterstruktur. „Man kann sie als Komplikationen der Charakterneurosen ansehen. … [Sie] können bei jedem Charaktertypus vorkommen und sind nicht auf den spezifischen Charakter, sondern vielmehr auf die spezifische Panzerung zurückzuführen“ (Elsworth F. Baker: Der Mensch in der Falle, S. 286). Ähnlich verhält es sich mit extremen psychiatrischen Störungen, etwa Baerbocks Sprachstörung. Man kann sie vielleicht „heilen“, aber die Charakterpathologie, die ihren Nährboden darstellt, besteht fort.
Das ist nicht so offensichtlich, weil die charakterliche Störung „peripher“ ist, d.h. letztendlich soziale Ursachen hat (auch die Kindererziehung ist eine „soziale Ursache“!). Man nehme etwa Reichs Beschreibung des Zusammenhangs zwischen charakterlicher Resignation und der Krebsschrumpfungsbiopathie, die das bioenergetische Zentrum des Organismus befällt:
Resignation ohne offenen oder geheimen Protest gegen die Versagung der Lebensfreude muß als eine der wesentlichen Grundlagen der Schrumpfungsbiopathie angesehen werden. Die biopathische Schrumpfung wäre demnach eine Fortsetzung chronischer charakterlicher Resignation im Bereich der Zellplasmafunktion. (Reich: Der Krebs, Fischer TB, S. 223f)
Es gibt Schichten des Lebensapparates verschiedener Tiefe um den biologischen Kern herum. Es gibt höhere und tiefer gelegene Schichten im Biosystem. Es gibt demzufolge oberflächliche und tiefergreifende Störungen der Körperfunktion. Eine akute Atemstörung wird dem Kern des Biosystems nichts anhaben. Eine chronische Atemstörung durch Inspirationshaltung wird chronische Angst erzeugen, aber die biologische Zellplasmafunktion nicht berühren, solange die bioenergetischen Funktionen in den Zellen selbst weitergehen, solange der Organismus weiter kräftige Impulse produziert. Ist aber die Impulsproduktion in den Zellen selbst getroffen, hat die periphere charakterliche Resignation das Zellplasmasystem erfaßt, dann haben wir es mit dem Prozeß der biopathischen Schrumpfung zu tun. (ebd., S. 224)
2.
Generell stehen in der Neurose die prä-genitalen Störungen im Vordergrund (phallisch, anal, oral). Am extremsten in der „okularen“ Schizophrenie (ja, keine Neurose, sondern Psychose). Trotzdem arbeitet sich der Therapeut zum Kern dieser Störungen vor und das ist die genital-orgastische Störung. Die prägenitalen „Frühstörungen“ sind in jedem Fall oberflächlicher als der ödipale Konflikt.
Ärzten, Psychiatern, Psychologen ist das so fremd und unverständlich, weil sie nicht so tief vordringen wie Reich. Ihre Arbeit ist erledigt, wenn die oberflächlichen „prägenitalen“ Symptome verschwinden, d.h. ein neurotisches Gleichgewicht hergestellt ist. Ähnlich wie die eingangs beschriebenen „genesenen“ somatisch Kranken, haben die Patienten zwar ihre psychische Auffälligkeit überwunden und sich wieder in die Gesellschaft integriert, aber das wirkliche Problem bleibt unberührt (siehe dazu den gestrigen Blogeintrag).
Beispielsweise kann eine Schizophrenie geheilt werden, wenn der okulare Block beseitigt ist, doch dann fängt die eigentliche Arbeit erst wirklich an, weil nunmehr der tieferliegende ödipale Konflikt angegangen werden muß. Generell kann man sagen, daß in der Therapie „von oben nach unten“ („von okular zu genital“), vom Oberflächlichen zum Tiefen, von der Oberfläche zum Kern, von der Gegenwart in die Vergangenheit fortgeschritten wird, vom Prägenitalen zum Genitalen, (richtig verstanden!!) vom Unwesentlichen zum Wesentlichen.
Schlagwörter:anal, Atemstörung, Ärzte, Baerbock, Charakterstruktur, Frühstörungen, Krebs, Medizin, Neurose, oral, phallisch, Psychiater, Psychiatrie, Psychologen, Psychologie, Psychose, Psychotherapie, Resignation
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13. Oktober 2023
Schlagwörter:Apoptose, Blutkreislauf, Genetik, Krebs, Krebsforschung, Krebsgen, Krebsmäuse, Krebstheorie, Krebszellen, mikroskopische Lebendbeobachtungen, Priorität, Resignation, Rote Blutkörperchen, Simeon J. Tropp, Tumor, Zelltod
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28. Dezember 2019
Schlagwörter:Abwehrmechanismen, Afghanistan, Afrika, Aggression, Algerien, Angola, Apathie, Apocalypse Now, Arbeit, Arbeitslosigkeit, Äthiopien, Bücher, Bürgerrechte, Benin, Bildung, Black Panther, Burt Lancaster, Castro, Chile, China, CIA, Coming Home, Daniel Pipes, das Böse, Demoralisierung, Die grünen Teufel, Fake News, Faschismus, Führer, Fernsehen, Fidel Castro, Film, Freiheit, Frieden, Gestapo, Gesundheit, Gewinnsucht, Giordano Bruno, Guinea, Guinea-Bissau, Gulag, Hitler, Hitlerdeutschland, Ho Chi Minh, Hollywood, Holocaust, humanitäre Gesinnung, Iran, Irrationalität, Islam, John Wayne, Journalismus, Journalisten, Juden, Kalter Krieg, Kambodscha, Kernenergie, KGB, Khomeini, Kongo, Konservativ, Kreativität, Kriminelle, Kuba, Leonard Bernstein, Letellier-Affäre, liberal, Liberalismus, Liebe, Machthunger, Manipulatoren, Mao Tse-tung, Marxismus, Marxisten, Massenmedien, Medien, Medienschaffende, Medizin, Militärdiktaturen, Mosambik, Muslime, Mussolini, Nachrichten, Nationalsozialismus, Nazis, Neurose, Neurotiker, New York Times, Originalität, Peron, Pinochets, Pol Pot, Politik, Pornographen, Presse, Provokateure, psychische Gesundheit, Psychologie, Publikum, Radical Chic, Radio, Recht, Religion, Resignation, roter Faschismus, Salonbolschewik, Salonbolschewisten, Salonkommunisten, Südjemen, Südostasien, Schah, Schuldgefühle, Selbsthaß, selbstreguliert, Sexualität, Sierra Leone, Somalia, Somoza, Sowjetarmee, Sowjetunion, Sozialpsychologie, Soziologie, Stalin, Tet-Offensive, The China Syndrome, The Deer Hunter, The Green Berets, Theater, Totalitarismus, totalitäre Gesellschafen, UdSSR, Umweltverschmutzung, Unbeweglichkeit, Unfähigkeit zur Freiheit, Ungarischer Volksaufstand, Ungerechtigkeiten, Verhaltensstrukturen, verkopft, Vietcong, Vietnam, Wissen, Zeitschriften, Zeitungen
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20. November 2019
Schlagwörter:Aleksander Solschenizyn, Gulag, Kalter Krieg, Kommunismus, kommunistische Regime, Krebsgeschwür, Krebstumor, Massen, Menschheit, Propaganda, Resignation, roter Faschismus, Solschenizyn, Sowjetunion, Subversion, Westen
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5. August 2019
Schlagwörter:Apathie, Führer, Frieden, Gewinnsucht, Giordano Bruno, Khomeini, Massenmedien, Medien, Pornographen, Presse, Resignation, Stalin, Unfähigkeit zur Freiheit, Verhaltensstrukturen
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16. Juli 2017
Eine vom Sheba Medical Center in Israel vorgestellte Studie hat gezeigt, daß das extreme Trauma des Holocaust noch Jahrzehnte später bei der Gesundheit der Opfer Folgen zeitigt. Sie erkrankten weit mehr an bestimmten Krebsformen als andere.
152 622 Überlebende wurden untersucht. Bei 22,2 Prozent wurde nach 1960 Krebs diagnostiziert, im Vergleich zu 16 Prozent bei der Kontrollgruppe. In der ersten Gruppe lag die Wahrscheinlichkeit für Lungenkrebs um 37 Prozent höher, für Darmkrebs waren es 12 Prozent. Interessanterweise gab es kein höheres Risiko bei Brust- und weiblichem Unterleibskrebs.
Für Reich war Krebs mit emotionaler Resignation und bioenergetischer Schrumpfung verbunden. Insbesondere Brust- und Gebärmutterkrebs sind mit sexueller Hemmung und Unbefriedigung verbunden. Also Faktoren, die nicht spezifisch auf Holocaust-Opfer zutreffen. Hier war die Bedrohung, psychoanalytisch ausgedrückt, nicht auf die Sexualtriebe gerichtet, sondern auf die Existenz selbst, die Ich-Triebe. Die Schrumpfung wurde von außen induziert, indem das Leben buchstäblich erstickt und ausgehungert wurde. Man ist an Reichs Ausführungen in Der Krebs erinnert:
Stellen wir uns die biologischen, physiologischen und seelischen Funktionen plastisch-räumlich vor; wir haben einen weiten Kreis mit einem Zentrum („Kern“) vor uns. Das Einschrumpfen der Kreisperipherie entspräche dem Einsetzen der charakterologischen und emotionellen Resignation. Der Kern, das Zentrum des Kreises, ist noch unberührt. Dieser Prozeß schreitet gegen das Zentrum zu fort, das den „biologischen Kern“ darstellt. Der biologische Kern ist nichts anderes als die Summe aller plasmatischen Zellfunktionen. Hat der Schrumpfungsprozeß diesen Kern erreicht, dann beginnt das Plasma selbst einzugehen. Dies fällt mit dem Prozeß des Gewichtsverlustes zusammen. (Fischer TB, S. 224)
Schlagwörter:Darmkrebs, Gewichtsverlust, Holocaust, Ich-Triebe, Kachexie, Krebs, Resignation, Sexualtriebe, Unterleibskrebs
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5. Juni 2017
Die Kultur ist (…) auf Triebverzicht aufgebaut, und jedes einzelne Individuum soll auf seinem Wege von der Kindheit zur Reife an seiner Person diese Entwicklung der Menschheit zur verständigen Resignation wiederholen. Die Psychoanalyse hat gezeigt, daß es vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, sexuelle Triebregungen sind, welche dieser kulturellen Unterdrückung verfallen. (Freud: Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, 1924)
Das schrieb Freud zu genau jener Zeit, als Reich seine Orgasmustheorie formulierte und seine Charakteranalyse zu entwickeln begann, bei der es um die Auflösung der Kultur („Charakter“) geht.
Marx‘ Theorie läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen:
Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts [zwischen Basis und Überbau] bewußt werden und ihn ausfechten. (Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, 1859)
Und hier wären wir wieder bei Freud, denn das obige Freudzitat hat einen Vorspann:
Wenn man von wenig bekannten inneren Antrieben absieht, so darf man sagen, der Hauptmotor der Kulturentwicklung des Menschen ist die äußere reale Not gewesen, die ihm die bequeme Befriedigung seiner natürlichen Bedürfnisse verweigerte und ihn übergroßen Gefahren preisgab. Diese äußere Versagung zwang ihn zum Kampf mit der Realität, der teils in Anpassung an dieselbe, teils in Beherrschung derselben ausging, aber auch zur Arbeitsgemeinschaft und zum Zusammenleben mit seinesgleichen, womit bereits ein Verzicht auf mancherlei sozial nicht zu befriedigende Triebregungen verbunden war. Mit den weiteren Fortschritten der Kultur wuchsen auch die Ansprüche der Verdrängung. Die Kultur ist doch überhaupt auf Triebverzicht aufgebaut…
Freud und Marx passen gut zusammen, aber was ausgerechnet Reich hier zu suchen hat, erschließt sich mir nicht ganz. Hat doch Reich selbst 1936 im linkssozialistischen Organ Kamp og Kultur konstatieren müssen:
Bisher hat der Sozialismus als kulturelle Bewegung Schiffbruch erlitten, weil er die gleiche Angst mit dem Konservatismus geteilt hat und an die inhärente Unvereinbarkeit von Sexualität und Kultur glaubte. (z.n. Max Hodann: History of Modern Morals, S. 319)
Schlagwörter:Basis und Überbau, Charakter, Freud, Freudo-Marxismus, Kultur, Kulturentwicklung, Marx, politische Ökonomie, Produktionsbedingungen, Resignation, Triebregungen, Triebverzicht
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12. Februar 2015
Reich zufolge sind die Emotionen unmittelbarer Ausdruck der Bewegung der organismischen Orgonenergie. Bewegt sie sich zur Peripherie, hat man es mit Lust zu tun, fließt sie in die Muskulatur, mit Wut, fließt sie in die Brust, mit Sehnsucht. Fließt sie gegen die normalerweise vorherrschende Expansion zum Zentrum des Organismus führt das zur Angst („Stauungsangst“), eine einfache Kontraktion („Resignation“) zur Trauer.
In den letzten Jahrzehnten hat die Humanethologie gezeigt, daß Mimik und Gestik, mit der die Emotionen zum Ausdruck gebracht werden, bei allen Menschen weitgehend gleich sind: bei Eskimos, Pygmäen, Bayern und Maoris. Disa Sauter (University College, London) et al. konnte das gleiche auch für die entsprechenden Lautäußerungen nachweisen, als sie Briten mit den im Nordwesten Namibias lebenden Himba verglichen.
Unterschiede fanden die Forscher allerdings in Lautäußerungen, die Erleichterung ausdrücken sollten. Hier hatten die Himba deutliche Schwierigkeiten, die entsprechende Lautäußerung – ein Seufzen – richtig zuzuordnen. Auch bei anderen positiven Gefühlen wie sinnliche Freude und Stolz über einen Erfolg schnitten sie weniger gut ab. Die Wissenschaftler erklären dieses Ergebnis damit, daß in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit solche positiven Gefühle hauptsächlich mit Vertretern des eigenen Volks geteilt wurden und ein Verständnis über kulturelle Grenzen weniger wichtig war.
Man sieht: die Universalität der Emotionen führt die mechanistische Wissenschaft nicht etwa zu einer tieferen, umfassenderen Funktionsebene (nämlich die Biophysik), sondern zu einer höheren, begrenzteren (die Soziologie – die sich dann mittels natürlicher Auslese in den Genen verewigt).
Es ist natürlich möglich, daß solche Mechanismen die biophysikalisch vorgegebenen Emotionen bzw. „ihre Universalität“ modifizieren können, aber das macht eben nicht ihr Wesen aus.
Ohnehin wissen wir alle aus eigener Erfahrung, daß etwa Trauer und Schrecken weitaus spontaner Ausdruck finden, tatsächlich kann man sich kaum dagegen wehren, als etwa Freude und Stolz. Dazu müssen wir nur Haustiere beobachten, die sich ständig in einem expansiven (vagotonen) Zustand befinden. Er ist die Norm bei allen Lebewesen. Vor dieser Grundfärbung sind positive Emotionen so etwas wie „monochromatische Malerei“.
Erst die Kontraktion bringt so etwas wie Dramatik und Heftigkeit ins Spiel. Man vergegenwärtige sich nur eine Affenhorde, die den ganzen Tag gemütlich vor sich hin döst, bis sich plötzlich ein Leopard nähert.
Daß die Expansion und damit die Emotion Lust beim Menschentier natürlicherweise überwiegt, zeigt auch die Sprache. Peter Dodds (University of Veermont in Burlington) et al. konnten bei der Analyse des Gebrauchs von positiv bzw. negativ konnotierten Begriffen in zehn Sprachen nachweisen, daß die positiven Begriffe überwiegen und dies vermutlich für alle Sprachen gilt.
Für ihre Studie werteten sie systematisch Texte aus zehn Sprachen aus: Englisch, Spanisch, Französisch, Deutsch, Portugiesisch, Koreanisch, Chinesisch (vereinfacht), Russisch, Indonesisch und Arabisch. (…) Bei den Analysen kristallisierten sich etwa Zehntausend der am häufigsten verwendeten Begriffe in der jeweiligen Sprache heraus. Diese Wörter legten die Forscher dann rund 1900 Muttersprachlern zur Beurteilung vor. (…) Bei allen 24 Quellen von Wörtern und in allen analysierten Sprachen gab es mehr Begriffe, die über dem neutralen Bereich lagen – mit anderen Worten: Die Stimmung der Sprache ist im Durchschnitt eher positiv geladen. Die Forscher betonen, daß es sich dabei nicht um die Botschaften von ganzen Texten handelt, sondern um den Durchschnittscharakter der kleinsten Bausteine der Sprache – der Wörter.

Sensation (Empfindung, „Nervenerregung“) und Emotion (Gemütsbewegung, „Herausbewegung = e-motion“) sind grundlegend unterschiedliche Phänomene, die auf zwei separaten Funktionen der Orgonenergie beruhen: die Kreiselwelle und die Pulsation. Die Kreiselwelle strukturierte sich im Zentralen Nervensystem (Rückgrat und Gehirn), die Pulsation im Vegetativen Nervensystem. Das Zentrale Nervensystem steht für „Nervenerregung“, das Vegetative Nervensystem steht für „Gemütserregung“.
In Der politische Irrationalismus aus Sicht der Orgonomie diskutiere ich die soziopolitischen Auswirkungen dieser bioenergetischen Gegebenheiten, in Die Massenpsychologie des Buddhismus die „spirituellen“. In diesem Blogeintrag geht es um die soziologischen.
Michael W. Kraus (University of California, San Francisco) et al. führten drei Experimente durch:
- Besser situierte Studenten waren schlechter in der Lage die Emotionen von abgebildeten Gesichtern abzulesen.
- Ihnen gelang es schlechter, die Emotionen eines Fremden während eines in der Gruppe ablaufenden Vorstellungsgesprächs einzuschätzen.
- Wurde den Versuchsteilnehmern das Gefühl vermittelt, daß sie einer niedrigeren Klasse angehören als der, zu der sie tatsächlich gehörten, verbesserte sich ihr Vermögen Emotionen zu lesen.
Die Erklärung von Kraus und seinen Kollegen ist rein soziologisch: die Ärmeren müssen sich mehr auf Freunde als auf Geld verlassen, um ihre alltäglichen Bedürfnisse zu befriedigen. Beispielsweise können sie sich keine Babysitter mieten, sondern müssen Freunde fragen.
Aus bio-soziologischer Sicht ist Sensation oben, Emotion unten, weil es bei der Klasseneinteilung um „Hochnäsigkeit“ und „Coolness“, d.h. „Gemütsruhe“ geht. Es geht um „aristokratisches“, gehirnzentriertes, überlegenes und „überlegendes“ Auftreten gegenüber „denen da unten“, die Spielball ihrer animalischen Gemütsregungen sind.

Schlagwörter:Aristokratie, Ärger, Biophysik, Bourgeoisie, Emotion, Emotionen, Empfindung, Freude, Gefühle, Gefühlsleben, Gemütsbewegung, Gemütsruhe, Gestik, Hochnäsigkeit, Klasseneinteilung, Klassengesellschaft, Lautäußerungen, Linguistik, Lust, Mimik, Nervenerregung, Oberschicht, Proletariat, Resignation, Sehnsucht. Angst, Sensation, Seufzen, Sprachanalyse, Sprache, Sprachforscher, Stauungsangst, Trauer, Unterschicht, vegetatives Nervensystem, Wut, zentrales Nervensystem, Zorn
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